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ETL IP: Ein neues Fundament für das IP-Management – DIN 77006

Warum brauchen wir die DIN 77006, welcher Aufwand steckt dahinter und wie optimiere ich mein IP Management um mich den aktuellen Herausforderungen zu stellen? Das sind nur einige der Fragen mit denen sich eine vierteilige Artikelserie der IP Spezialisten der Kanzlei ETL IP beschäftigt.

Die ETL-Gruppe gehört zu den Top 5 der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften in Deutschland. Die Unternehmensgruppe erwirtschaftet mit ihren Geschäftsbereichen Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung, Rechtsberatung, Unternehmensberatung und IT bundesweit einen Gruppenumsatz von über 979 Mio. Euro. Insgesamt betreuen über 10.000 Mitarbeiter – darunter mehr als 1.500 Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater – überall in Deutschland mehr als 210.000 Mandanten.

Für den Bereich gewerblichen Rechtsschutz steht die Berliner Kanzlei ETL IP und ihre Patentrechtexperten Dr. Diana Taubert und Dr. Jörn Plettig, die uns auch diesen Beitrag zur Verfügung gestellt haben.

Dies ist der erste und zweite Teil einer vierteiligen Artikelserie zur DIN 77006

Teil 1

Die Ausgangslage – Deshalb brauchen wir eine DIN 77006

(Hier der Link zum Originalartikel)

Wie Sie wissen, ist die Welt im steten Wandel – immer schneller, interdisziplinärer und komplexer. Dies macht auch vor dem Umgang mit geistigem Eigentum nicht halt. Vielmehr werden die IP-Landschaften immer dichter, uneinsichtiger und ebenfalls schnelllebiger. Haben Sie sich da nicht auch schon einmal gefragt, wie man diesem Wandel Herr werden kann? Nun ja, die folgenden Zeilen widmen sich genau dieser Herausforderung und unterbreiten einen Vorschlag, um dem als Unternehmen aktiv, systematisch und ganzheitlich zu begegnen.

So befasst sich diese vierteilige Artikelserie exemplarisch mit DER Herausforderung unserer Zeit, der Digitalen Transformation, und ihren Einflüssen auf die Verschiebung ganzer IP-Landschaften in nahezu allen Branchen, und wie Unternehmen mithilfe der noch recht jungen DIN 77006 eben doch Herr der Lage werden können.

Wozu der Aufwand einer DIN 77006?

Dies ist wohl die in IP-Abteilungen und Kanzleien als erste gestellte Frage, wenn man sich mit dem Bestehen dieser neuen Norm konfrontiert sieht. Auch Sätze wie: „Wir haben ein funktionierendes System aus langjährig erfahrenen Mitarbeitern – warum sollte man ihnen ihre Arbeit mittels einer DIN ‚steuern‘ müssen?“ werden wohl nicht der Seltenheit angehören. Tja, dem kann man nur begegnen, indem man aufklärt, was die DIN 77006 ist und was sie nicht ist, und welchen Problemen sich das IP-Management (IPM) bereits ausgesetzt sieht.

So ist u. a. die immer fortwährende Verzahnung von Biotech und Infotech eine der bedeutsamsten Facetten von Digitalisierung, woraus mittelbar eine Erhöhung der Gesundheit und Lebenserwartung resultiert, die gleichzeitig aber auch ganz neue Businessmodelle, vor allem in der Medizin, hervorbringen kann. Ein aktuelles Beispiel gefällig? Wäre die vorbeschriebene Verzahnung nicht bereits im vollen Gange gewesen, wäre das Durchführen eines „Project Lightspeed“ der BioNTech zum Auffinden hochwirksamer mRNA-Vakzine gegenüber SARS-Cov-2 wohl in dem vorgelebten Maße und dessen Geschwindigkeit nicht möglich gewesen.

Wettbewerb zwischen neuen und bekannten Playern

Ein wesentlicher Effekt der Digitalen Transformation im IP-Wesen ist, dass völlig neue Player aufeinandertreffen und fortan um die gleichen Märkte buhlen – damit geht Verdrängung einher. Typische Verdrängungsgeschichten sind Amazon vs. Einzelhandel; Uber vs. Taxigewerbe und bspw. Tesla vs. Mercedes, BMW, VW etc. im Bereich der E-Automobilität. Dass solche Wettbewerbe auch regelmäßig zu Patentstreitigkeiten führen können, wissen wir nicht erst seit den kürzlich global beigelegten Streitigkeiten von Netzwerkausrüster Nokia vs. Autobauer Daimler. Die Zeiten, als Nokia allein auf dem Smartphone-Sektor aktiv war, sind längst vorbei. Vorliegend ging es um Mobilfunkpatente von Nokia, dessen Netzwerktechnologie vermeintlich in mehreren Mercedes-Modellen verbaut wurde. Im Falle einer rechtskräftigen Niederlage von Daimler drohte schlimmstenfalls ein Verkaufsverbot seiner ganzen betroffenen Modelle. Wohingegen im Falle eines Obsiegens Daimlers Nokia das Ausbleiben von Lizenzgebühren in Höhe von Hunderten Millionen Euro fürchten musste.

Allein dieser Fall verdeutlicht eindringlich die IP-Auswirkungen Digitaler Transformation. Player müssen auf ihren Märkten nunmehr weit über den Tellerrand hinausschauen und mit Patentverletzungsklagen aus Digitalpatenten Dritter rechnen, die bestrebt sind, Anspruchsätze auf Digitalplattformen und/oder Businessmodelle zu formulieren, was ganzen Unternehmen, vielleicht sogar ganzen Branchen, die Geschäftsgrundlage streitig machen könnte. Denn Digitale Transformation vollzieht sich in wirtschaftlichen Ökosystemen. So entstehen kontinuierlich neue Mitspieler des Wettbewerbs mit anderen Leistungsversprechen und Absichten. Digitalpatente sind zumeist konzeptioneller und strategischer geschrieben mit der vorwiegenden Intention, „use cases“ zu formulieren, um bestenfalls auf ganze Businessmodelle durchgreifen zu können. Unter anderem rührt daher die „Angst“ der Autoindustrie vor einem 5G-Standard mit aktuell noch nicht vorhersehbaren Risiken.

Patentverletzungsklagen aus Digitalpatenten Dritter formulieren Anspruchsätze auf Digitalplattformen und Businessmodelle

Digitalisierung als Bedrohung für etablierte Unternehmen

Das heißt, „Digitalisierung“ ist schon lange kein Buzzword mehr, um in einem Meeting up-to-date zu wirken. Sie passierte, passiert und wird unaufhaltsam in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen Einzug halten. Vielmehr wirkt die aktuelle Pandemie gar noch als „Brandbeschleuniger“, weil sie Digitalisierungsvorhaben in öffentlichen Behörden und Einrichtungen über wenige Monate befeuert hat, was Experten seit über zwei Jahrzehnten nicht gelungen ist. Mit Digitalisierung wird sich nun weltweit auf allen Ebenen aktiv auseinandergesetzt – es gibt keine Ausrede mehr hinsichtlich mangelnder Motivation und Mittel.

Wir können also festhalten: Während der Digitalen Transformation erscheinen immer mehr und immer häufiger neue Einzelanmelder, Start-ups und Firmen mit disruptiven Innovationen und breiten Geschäftsmodellen (use cases) auf dem Markt und erweitern signifikant den Wettbewerb zu etablierten Unternehmen. Dies kann für traditionelle Unternehmen zur Bedrohung werden. Wer aber daraufhin sein eigenes Unternehmen digital transformiert und sich der verschobenen IP-Landschaft bewusst wird, verringert das Risiko, sein eigenes Geschäft von diesen neuen Anbietern reduziert, verdrängt oder gar zerstört zu bekommen.

Fazit

Dem Wandel, der mit der digitalen Transformation einhergeht, müssen sich nahezu alle Unternehmen stellen. Es ist nun einmal so, dass „gestern“ IP vorwiegend reaktiv verwaltet wurde, was den oben skizzierten Szenarien „heute“ und erst recht „morgen“ bei Weitem nicht mehr gerecht würde. Schon „heute“ muss IP aktiv verwaltet werden, und spätestens „morgen“ proaktiv.

Teil 2

So Kann die DIN 77006 bei aktuellen Herausforderungen helfen

(Hier der Link zum Originalartikel)

Was macht die DIN 77006?

Die DIN 77006 siedelt die IP als ein zentrales Business-Asset im Unternehmen an und managed dieses mit Hilfe von PDCA-Zyklen (plan-do-check-act) im Rahmen einer High-Level-Structure. Über eine effiziente IP-Prozessgestaltung sollen Potenziale eines Unternehmens aktiv genutzt und neue Einnahmequellen generiert werden.

Die gute Nachricht: Die eingangs genannten Herausforderungen lassen sich durch ein optimiertes und zeitgemäßes IPM adressieren, und sogar fortwährend verbessern. Genau diesen Ansatz verfolgt die DIN 77006. Wie Sie beim Legen eines neuen Fundaments für ein aktives, systematisches und ganzheitliches IPM unterstützend sein kann, wird im Folgenden erörtert.

Was ist zu optimieren

Der menschliche Faktor ist einer der größten Sicherheitsrisiken für rechtssicheres IPM. Dies gilt auf Abteilungsebene, aber auch auf Unternehmensebene. Denn wird beispielsweise die Geschäftsführung nicht umfassend in ein strategisches IPM mit einbezogen, und IP nicht ganzheitlich auf allen relevanten Ebenen eines Konzerns mit hinreichender Kommunikation und Transparenz untereinander gelebt, macht man sich fehleranfälliger und damit schwächer in der Erlangung und Verteidigung von Schutzrechten.

In diesem Zusammenhang scheint auch die Einstellung des „Einzelkämpfertums“ in IP-Abteilungen dieses Landes noch teils fortzuwähren, so dass gewisse IP-Prozesse wie Risikomanagement, Administration oder auch IP-Generierung auf spezielle Fachkräfte allein konzentriert wird, was jedoch einen Wissenstransfer und einen ganzheitlichen Ansatz innerhalb der Abteilung weiter erschwert. Dies hat zur Folge, dass IP-Prozesse innerhalb der Abteilung teils ohne Querverweise untereinander gehandhabt werden, was bspw. ein vereinheitlichendes IP-Reporting an die Geschäftsführung unmöglich werden lässt. Entsprechend kann die Geschäftsführung wiederum keine ganzheitlich im Unternehmen auszuführende IP-Strategie an die IP-Abteilung oder Legal zurückspielen. Abhilfe bieten dabei die Anforderungen und der Aufbau der DIN 77006, wenn sie unternehmensspezifisch integriert und verlässlich gelebt werden.

Das Gute daran: Mit einem DIN 77006-konformen Arbeiten, das man sich auch extern bescheinigen lassen kann, werden die IP-Prozesse zwangsweise fehlerunanfälliger und diese Prozesse werden fortwährend optimiert; gerade eben durch den vielmals implementierten PDCA-Zyklus, der sein Handeln und seine Dokumentation regelmäßig hinterfragen lässt. Ferner lassen sich IPM-Abläufe darüber weitestgehend standardisieren, so dass bspw. die Vorlagen für eine umfassende und transparente Dokumentation nur einmal ausgearbeitet und aufgestellt werden müssen, welche daraufhin jedoch weiter aktualisiert bzw. ergänzt werden müssen.

Mit einem DIN 77006-konformen Arbeiten werden die IP-Prozesse zwangsweise fehlerunanfälliger und fortwährend optimiert

Der Nutzen und die Vorteile

Wie im ersten Teil unserer Serie schon erwähnt, muss man sich stets vor Augen halten, in welcher Welt wir eigentlich leben: Digitalisierung erlaubt mitunter Arbeitsabläufe hoch effizient zu parallelisieren und größtenteils zu automatisieren. So mehrt sich Wissen und Austausch in einer Geschwindigkeit und Fülle, die kaum bezifferbar ist. Ergebnisse werden schneller erzielt, unmittelbar untereinander geteilt und bilden die Grundlage neuer Fragestellungen, die wiederum so schnell wie nie zu neuen Ergebnissen führen. Ineffizientes und intransparentes Arbeiten gehört mehr und mehr der Vergangenheit an – und dies weltweit.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Patentlandschaften diverser Branchen immer höhere Raten an Digitalpatenten aufweisen. Beispielsweise kann hier der Landwirtschafssektor genannt werden. Entsprechend ist der „Patentwald“, den man zu analysieren und zu bewandern hat, bevor man – bildlich gesprochen – auf einer freien Lichtung versucht, sein eigenes Patent zu platzieren, immer dichter, dunkler und im wahrsten Sinne des Wortes verzweigter. Ohne ein verbessertes und zeitgemäßes IPM auf allen Ebenen einer Organisation wird man dem nicht mehr Herr werden. Und genau hier greift die DIN 77006 als neutraler Leitfaden und Kontrollinstrument ein, um den Unternehmen eine Richtschur an die Hand zu geben, sich aktiv mit Ihrem IPM auseinanderzusetzen und dies zielführend zu optimieren.

Denn die DIN 77006 gibt Empfehlungen, wie sich ein IPM adäquat und wirksam in einer Organisation aufbauen, verwirklichen, aufrechterhalten und fortlaufend verbessern lässt. Die Norm gibt zahlreiche Empfehlungen, Strategien, Auditierungen und Lösungsansätze zur Sicherung der Qualität im IPM. Sie kann daher auch Patentanwaltskanzleien sowie (Syndikus-)Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eine Hilfestellung bieten, die im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes tätig sind.

DIN 77006 als neutraler Leitfaden und Kontrollinstrument ermöglicht den Unternehmen sich aktiv mit Ihrem IP-Management auseinanderzusetzen und dies zielführend zu optimieren

Sich der aktuellen Herausforderung frühzeitig, aktiv und systemisch stellen

Wie in Teil 1 der Artikelserie erwähnt, verschieben sich derzeit ganze Märkte, Player, und Anspruchsausrichtungen – nämlich von Vorrichtungs- und Verfahrenspatenten hin zu sehr breiten use cases basierend auf Digitalansätzen und -plattformen, welche die IP-Landschaft gravierend umgraben. Derart, dass potenzielle Patentverletzungen nunmehr regelmäßig gegenüber Digitalpatenten und -anmeldern entstehen können, wobei der vermeintliche Verletzer von dem Streitpatent selbst zumeist erst mit Zustellung der Klage erfährt.

Doch um sich diesen Gefahren frühzeitig, aktiv und systemisch zu stellen, sollte eine jede Firma, unabhängig welcher Größe, Ausrichtung und Branche, ihr eigenes Fundament von IPM überdenken und mithilfe der hierin vorgestellten DIN 77006 challengen und optimieren. Denn nur mit einer aktiven Auseinandersetzung des IST-Zustandes und dem Kennen der Anforderungen eines aktiven, systematischen und ganzheitlichen IPM nach DIN 77006 kann auch der darin beschriebene Soll-Zustand erreicht werden, der ein umfassenderes und rechtssichereres IPM erlaubt. Daraus lassen sich auch beständige Effizienzgewinne und Synergieeffekte in der täglichen Routinearbeit erzielen.

Fazit

Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die sich bislang noch wenig mit IPM befassen mussten, kann die DIN 77006 eine sinnvolle Orientierungs-, wenn nicht gar Starthilfe sein.


Die Autoren

Patentanwältin Dr. Diana Taubert

Frau Dr. Taubert hat zunächst Chemie studiert. Während der anschließenden Promotion in physikalischer Chemie studierte sie Betriebswirtschaftslehre und schloss dies in der Spezialisierung Management – Organisation und Führung ab.

Nach mehreren Auslandserfahrungen in Mexiko und am LANSCE in den USA, wechselte sie in die Wirtschaft in ein Start-up für die Entwicklung und Produktion von Photovoltaik-Modulen.

Später folgte eine Ausbildung zur Patentanwältin. Sie erbrachte den dafür notwendigen juristischen Studienabschluss mit anschließendem Referendariat am Bundespatentgericht in München und arbeitete insgesamt fünf Jahre in einer der größten Berliner Patentanwaltskanzleien, bevor sie die Rolle der Gesellschafter-Geschäftsführerin der ETL IP Patent- & Rechtsanwaltsgesellschaft mbH übernahm. Deren Mandantenstruktur umfasst ebenso Start-Ups der IT-Branche, wie auch internationale Automobilhersteller.

Darüber hinaus ist Frau Dr. Taubert zertifizierte Beraterin und Auditorin für die DIN ISO 9001, spezielles Augenmerk liegt hierbei auf die Konformität der Normen zum Geistigen Eigentum, wie der DIN 77006. Somit ist die ETL IP die erste Patentanwaltskanzlei, die Beratung bei der Ausrichtung der Prozesse des geistigen Eigentums, wie Inanspruchnahme und Bewertung von Erfindungen, Konformität zum Arbeitnehmererfinderrecht, Lizensierung und Aufrechterhaltung, sowie Durchsetzung von Schutzrechten und Überwachung des Marktes anbietet.

Patentanwalt Dr. Dipl.-Biol. Jörn Plettig

Dr. Plettig hat zunächst in einem global agierenden Medizintechnikunternehmen sowie in zwei internationalen IP-Kanzleien über 10 Jahre wertvolle Berufserfahrung sammeln können. So lernte er die „Needs“ IP-orientierter Unternehmen, gerade aus der Pharmazie, Chemie, Biotechnologie und Medizintechnik verstehen.

Von fachlicher Seite ist er promovierter Diplom-Biologe mit den Schwerpunkten Molekularbiologie/Genetik, Zell- und Humanbiologie. Durch die patentanwaltliche Arbeit hat er seine Tätigkeitsfelder um ein Vielfaches erweitert, bspw. auf die Bereiche Mechanik und Produktdesign.

Seine Publikationspromotion schloss er zu innovativen Therapien für Verbrennungspatienten an der Berliner Charité ab. Zuvor absolvierte er ein Biologie-Studium an der Freien Universität zu Berlin. Währendseiner akademischen Ausbildung war er mehrfach an der University of Pittsburgh wissenschaftlich tätig.

Seit März 2021 hat er die Kanzleileitung von ETL IP Berlin übernommen.