Industrie 4.0, KI und das Internet der Dinge zwingen die Unternehmen zu einem radikalen Umdenken beim Umgang mit geistigem Eigentum. IP-Management-Normen wie ISO 56005 und DIN 77006 sollen Unternehmen und IP-Dienstleister dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten zur Bewältigung der Herausforderungen eines modernen und rechtskonformen IP-Managements zu entwickeln.
Unternehmen entwickeln neue Geschäftsmodelle, Anwendungsfälle und Anwendungen mit erheblichen digitalen Komponenten, wie etwa intelligente Plattformen, 5G-Kommunikationsstandards, Cloud Computing, künstliche Intelligenz und digitale Zwillinge. Und die Unternehmen versuchen, ihre Dienstleistungsangebote rechtlich zu schützen, indem sie ihre technischen Entwicklungen patentieren lassen und Patentportfolios entwerfen, die speziell auf den Kundennutzen ausgerichtet sind. Geistiges Eigentum ist daher ein wichtiges Konzept im technologischen und wirtschaftlichen Bereich von Industrie 4.0 und IoT. Digitale Patente sind jedoch anders. Sie gehen nicht von der physischen Realität oder der technischen Funktionalität aus, sondern von der Anwendung, der Lösung oder dem Anwendungsfall. Dies wirkt sich auch auf die Analyse der Wettbewerbssituation aus, einschließlich der Patente Dritter, die berücksichtigt werden müssen.
In einem solchen technischen Umfeld sind Freedom-to-Operate-Recherchen sehr umfangreich und zeitaufwändig bzw. fast unmöglich. Die großen Patentportfolios Dritter bergen erhebliche Gefahren und Haftungsrisiken, zum Beispiel bei der Verwendung von Telekommunikationstechnologien in neuen Produkten. Die Nichtbeachtung von Schutzrechten Dritter kann zu empfindlichen Sanktionen wie Verkaufsverboten oder Schadensersatzansprüchen führen, so dass die Identifizierung und Berücksichtigung von Drittpatenten ein wesentliches Element der Schadensverhütung darstellt.
IP-Management-Normen wie ISO 56005 und DIN 77006 konzentrieren sich auf Führung und Strategie, Werkzeuge und Methoden.
ISO 56005 Innovationsmanagement – Werkzeuge und Methoden für das Management von geistigem Eigentum
ISO 56005 ist Teil einer Normenfamilie, die sich mit Innovationsmanagement befasst. Die ISO-Normenfamilie zielt darauf ab, Werkzeuge und Methoden bereitzustellen, die zur Umsetzung eines ganzheitlichen Ansatzes für das Innovationsmanagement verwendet werden können, einschließlich einer angemessenen Interaktion mit den Interessengruppen im Innovationsprozess.
Die ISO-Normenfamilie bietet einen Rahmen zur Unterstützung von Innovationsmanagementverfahren von der Idee über Forschung und Entwicklung bis hin zur Schaffung von geistigem Eigentum und verifizierten Produkten oder Dienstleistungen. ISO 56005 ist als Leitfaden für das systematische Management von geistigem Eigentum im Innovationsumfeld konzipiert. Sie unterstützt den Innovationsprozess und bietet eine IP-Strategie, die auf die Geschäftsstrategie abgestimmt ist und fünf Hauptaktivitäten und -ergebnisse umfasst, die Unternehmen helfen, ihre besten Ideen zu schützen: IP-Landscaping, IP-Erstellung und -Erwerb, IP-Portfolio, IP-Vermarktung und IP-Risikomanagement.
Die Norm ISO 56005 kann für alle Arten von Innovationsaktivitäten verwendet werden. Sie definiert verschiedene Aufgaben und Verantwortlichkeiten für das IP-Management. Dazu gehören zum Beispiel:
- Festlegung der zu schützenden Innovationsergebnisse und der geeigneten Ressourcen für die Verwaltung dieses geistigen Eigentums;
- die Überwachung von Rechten an geistigem Eigentum Dritter, um Chancen und Risiken als Input für Innovationsaktivitäten zu erkennen und eine mögliche Verletzung von Rechten Dritter zu vermeiden; und nicht zuletzt,
- Bewusstseinsbildung und, falls erforderlich, Schulung innerhalb der Organisation.
Der Anhang zu ISO 56005 bietet einen Überblick über Checklisten, Werkzeuge und Methoden für die Identifizierung und Offenlegung von Erfindungen, die Generierung, den Erwerb und die Pflege von geistigem Eigentum, die Recherche nach geistigem Eigentum, die Bewertung von Rechten an geistigem Eigentum und das Risikomanagement von geistigem Eigentum sowie eine Sammlung von Best-Practice-Anleitungen und Strategien für das systematische Management von geistigem Eigentum im Innovationsumfeld.
DIN 77006 Managementsysteme für geistiges Eigentum – Anforderungen
DIN 77006 ist eine deutsche Norm. Es ist wichtig zu verstehen, dass sie Teil der Normenfamilie ISO 9000/9001 ist, die sich mit der Gestaltung und Umsetzung von Managementsystemen befasst. Die DIN 77006 sieht den richtigen Umgang mit geistigem Eigentum als Managementaufgabe und konzentriert sich nicht auf das Innovationsmanagement. Es ist wichtig festzuhalten, dass sich die beiden Normen nicht widersprechen. Vielmehr kann man sagen, dass die DIN 77006 eine spezifischere und strengere Norm ist als die ISO 56005.
Die Norm ist offen für fast alle Arten von Geschäftsmodellen. Sie definiert verschiedene Anforderungen und Aufgaben, die bei der Umsetzung der Norm zu berücksichtigen sind. Wenn ein Unternehmen seine Konformität mit der DIN 77006 erklären will, müssen alle für das jeweilige Geschäftsmodell relevanten Anforderungen erfüllt sein. Ausnahmen sind möglich, wenn bestimmte Anforderungen von der Organisation nicht angewendet werden können oder wenn die Durchführung einer bestimmten Aufgabe in einer Organisation nicht relevant ist. Wenn beispielsweise ein Patentanwalt kein eigenes geistiges Eigentum generiert, beschreibt er seine Organisation nur insoweit, als geistige Eigentumsdienstleistungen erbracht werden. Die Anforderungen an die IP-Generierung können dann z.B. ausgeklammert werden.
Die High-Level-Struktur der DIN77006
Wie bereits erwähnt, ist die DIN 77006 Teil der ISO9000/9001-Normenfamilie. Alle Normen dieser Familie folgen der gleichen Logik und Struktur. Diese einheitliche übergreifende Struktur der Normen wird als High Level Structure bezeichnet. Da die Strukturen immer gleich sind, können neue Bereiche wie das IP-Management effizient in das Managementsystem einer Organisation integriert werden, die bereits andere Normen der ISO9000/9001-Familie umgesetzt hat.
In der DIN 77006 werden die einzelnen Bereiche der High-Level-Struktur bei Bedarf ergänzt und im Hinblick auf IP und IP-Management konkretisiert. Der Anhang der Norm enthält zu fast jedem Kapitel der Anforderungen hilfreiche Erläuterungen, Beispiele und Kommentare.
Das Prozessmodell der DIN77006 und ISO 9001-Familie
Neben der gemeinsamen Struktur auf hoher Ebene basiert die ISO9000/9001-Normenfamilie auf einem Prozessmodell, das den PDCA-Zyklus umsetzt. PDCA steht für Plan, Do, Check und Act. Das Konzept hinter dem Prozessmodell besteht darin, dass sich die Qualität des Managementsystems stetig verbessert, wenn der Zyklus kontinuierlich durchgeführt wird.
Unter diesem Gesichtspunkt ist das IP-Management ein iterativer Prozess.
Die Planung umfasst die Definition spezifischer IP-Managementziele und den Umgang mit den identifizierten IP-Risiken.
Die entsprechenden Prozesse werden dann im Rahmen des Betriebs oder der Unterstützung durchgeführt. Dies betrifft die Themen IP-Bewusstsein, IP-Verwaltung, IP-Generierung, IP-Durchsetzung, IP-Verteidigung und IP-Transaktionen.
Die Leistung und Wirksamkeit des IP-Managementsystems wird regelmäßig überprüft und durch ein IP-Reporting erfasst.
Je nach den Ergebnissen dieser Überprüfungen muss entschieden werden, ob und wo das IP-Managementsystem verbessert werden muss.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die DIN 77006 einer Organisation hilft, ein effizientes und rechtssicheres IP-Management-System aufzubauen. Dadurch werden z.B. die Compliance-Anforderungen der Organisation identifiziert, verstanden und kontinuierlich von allen Abteilungen oder Mitgliedern der Organisation erfüllt. Die Dokumentationsanforderungen über alle Hierarchieebenen und Prozesse hinweg stellen sicher, dass alle relevanten rechtlichen und regulatorischen Anforderungen erfüllt und die Prozesse optimal zur Erreichung der Unternehmensziele integriert werden.
Dieser Blogpost ist die Übersetzung des Posts von Theo Grünewald auf dem Blog der IP Business Academy vom 27.7.2023